Hintergrundwissen zur Nachhaltigkeit
Zusammenfassung
Die Nachhaltige Entwicklung gilt als das Leitbild des 21. Jahrhunderts. Es fordert eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. In Europa ursprünglich auf die Waldbewirtschaftung zurückzuführen, ist das sich über die Bereiche Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit ausdehnende Ziel "nachhaltige Entwicklung" heute für fast alle Lebensbereiche vorrangig.
Über die Ausgestaltung der Zukunft wird international, z.B. auf den Gipfeltreffen von Rio und Johannesburg, aber auch national diskutiert. In Deutschland wurde beispielsweise die Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" des 13. Deutschen Bundestages gegründet, um die Anforderungen an die zukünftige Entwicklung zu untersuchen. In ihrem Abschlussbericht stellt die Kommission Regeln auf, anhand derer die Nachhaltige Entwicklung für das Staatsgebiet sichergestellt werden soll. Neben der politischen Ebene wird das Leitbild "Sustainable Development" aber auch von Wirtschaftsunternehmen als eine künftige Handlungsalternative akzeptiert. Diese Unternehmen benötigen zur Umsetzung allerdings auch Fachkräfte, die mit den Leitlinien einer nachhaltigen Entwicklung und ihrer Chancen für die Zukunft vertraut sind.
Die Aufnahme des Leitbildes in die Ausbildung ist daher unumgänglich. Trotz der Tatsache, dass das Ziel der nachhaltigen Entwicklung allgemein akzeptiert ist, bestehen noch Schwierigkeiten bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht und der Grad der Umsetzung gemessen werden kann. Gründe hierfür sind beispielsweise Unterschiede in der Bedürfnisdefinition die von Individuum zu Individuum, von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent variiert.
Was ist Nachhaltigkeit
Nachhaltige Entwicklung – auch als anhaltende, dauerhafte, durchgreifende, intensive oder wirksamer Entwicklung beschrieben [1] - wurde erstmalig 1987 von der "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" unter der Leitung der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland definiert. In ihrem Abschlussbericht "Our Common Future", besser bekannt als der Brundtland Bericht [2], heißt es:
Unter dauerhafter Entwicklung verstehen wir eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen. Die Forderung, diese Entwicklung ’dauerhaft’ zu gestalten, gilt für alle Länder und Menschen. Die Möglichkeiten kommender Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ist durch Umweltzerstörung ebenso gefährdet wie durch Umweltvernichtung und durch Unterentwicklung in der Dritten Welt.
Eine nachhaltige Entwicklung beruht nach dem Brundtland Bericht auf einer ausgewogenen Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und ökologischer Aspekte die nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen um diese nachhaltige Entwicklung zu erreichen.
Geschichte der Nachhaltigkeit
Der Gedanke der nachhaltigen Entwicklung wie er heute verstanden wird entspringt der Neuzeit, die Berücksichtigung der Belange künftiger Generationen jedoch ist bereits sehr alt. Erste dokumentierte Hinweise darauf lassen sich bei einem Irokesenstamm Nordamerikas finden der von seinen Häuptlingen verlangt, Entscheidungen auch unter Berücksichtigung der Konsequenzen für künftige Generationen zu fällen [3, 4].
In Europa lässt sich der Gedanke des nachhaltigen Wirtschaftens vor allem in der Forstwirtschaft zurückverfolgen. Bereits im 13. Jahrhundert gab es erste Vorschriften (Nürnberger Waldverordnung von 1294) die auf die nachhaltige Verwendung des Rohstoffes Holz hinweisen [5].
Die Problematik des starken Holzeinschlages ohne sich um die Wiederaufforstung zu bemühen, wurde erstmalig von Herrn Carlowitz, einen sächsischen Adligen, in seiner Schrift: "Sylvicultura Oeconomica — Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht (1713)" beschrieben. Er führt aus, der Mensch müsse in dem "grossen Welt-Buche der Natur studiren". Er müsse erforschen, wie "die Natur spielet", und dann "mit ihr agiren" und nicht wider sie, "immer-während", "continuirlich" und "perpetuirlich". In seinem Buch plädiert Carlowitz für ein Bündel von Maßnahmen, unter anderem die Verbesserung der Wärmedämmung beim Hausbau, die Verwendung von energiesparenden Schmelzöfen und Küchenherden, die planmäßige Aufforstung durch Säen und Pflanzen und nicht zuletzt die Suche nach "Surrogata" für das Holz [6].
Wohl auf den Grundlagen der Carlowitzschen Thesen formulierte 1795 Georg Ludwig Hartig in seiner Arbeit "Anweisung zur Taxation und Beschreibung der Forste": "(...) die Waldungen (...) zwar so hoch als möglich, doch so zu nutzen suchen, dass die Nachkommenschaft ebensoviel Vorteile daraus ziehen kann, als sich die jetzt lebende Generation zueignet" [7, 8]. Die Idee der nachhaltigen Bewirtschaftung, einer Bewirtschaftung die künftigen Generationen nicht die Lebensgrundlage entzieht, war geboren. Die Motivation einer solchen Vorgehensweise war allerdings wohl überwiegend wirtschaftlicher und sozialer Natur und bezog sich damals im Kern noch nicht auf den Schutz von Umwelt und Natur. Sie führte dazu, dass der Anteil des "Urwaldes" immer weiter zurückgedrängt wurde um einheitlichen Monokulturen – oft schnell wachsendes Nadelholz – den Vorzug zu geben. Außerhalb der Forstwirtschaft kamen, auch im weiteren geschichtlichen Verlauf, die Ideen der nachhaltigen Bewirtschaftung nicht zur Anwendung.
Zu Beginn der 80er Jahre kam der Begriff der Nachhaltigkeit erstmalig in der Weltnaturschutzstrategie der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) und des World Wide Fund for Natur (WWF) vor und meinte damit ein System nur so zu nutzen, dass es in seinen wesentlichen Merkmalen erhalten bleibt [9]. Die Idee, neben den ökonomischen und sozialen Aspekten auch ökologische Gesichtspunkte unter dem Stichwort "nachhaltige Entwicklung" zu vereinen, diese nicht mehr unabhängig von einander zu betrachten und auf alle Bereiche des menschlichen Lebens und Wirtschaftens auszudehnen, wurde erstmalig 1987 im Brundtland-Bericht formuliert. In der Folge wurde diese Idee vielerorts aufgegriffen und verfeinert. Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro wurde dann ein weiterer Meilenstein gesetzt. In der dort von über 170 Nationen verabschiedeten Agenda 21 wurde "Sustainable Development" als das wichtigste weltweite Entwicklungsziel aufgenommen [10]. Aufgrund ihres globalen Ansatzes bleibt die Agenda 21 in vielen Bereichen jedoch sehr vage und unklar. Sie beschreibt in den meisten Fällen lediglich, welche Ziele zu erreichen sind, lässt aber den Weg dorthin offen. Wichtiger als der Wortlaut des Dokumentes selbst erscheint daher der "Geist" der Agenda 21: "Nur eine globale Partnerschaft und Zusammenarbeit kann die Lösung der dringendsten ökologischen und sozialen Probleme dieses Planeten garantieren" [7]. In Deutschland wurden Vorschläge zur Umsetzung bzw. Ausgestaltung einer nachhaltigen Entwicklung erstmalig von der Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" des 13. Deutschen Bundestages in ihrem Abschlussbericht "Konzept Nachhaltigkeit - Vom Leitbild zur Umsetzung" vorgestellt [11]. Die Kommission nennt als zentrales Ziel der nachhaltigen Entwicklung "die Sicherstellung und Verbesserung ökologischer, ökonomischer und sozialer Leistungsfähigkeiten" Sie bezieht sich dabei auf das drei Säulenmodel der Nachhaltigkeit in dem die Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziologie gleichberechtigt behandelt werden und definierte in ihrem Bericht auch Handlungsanweisungen mit deren Hilfe eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden kann.
Im Juni 2001 trafen die Mitglieder der Europäischen Union in Göteborg zusammen um über die weitere Zukunft Europas und notwendige politische Leitlinien zu beraten. Dabei wurde unter anderem folgender Beschluss gefasst:
Nachhaltige Entwicklung, d.h. die Erfüllung der Bedürfnisse der derzeitigen Generation ohne dadurch die Erfüllung der Bedürfnisse künftiger Generationen zu beeinträchtigen, ist ein grundlegendes Ziel der Verträge. Hierzu ist es erforderlich, die Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik so zu gestalten, dass sie sich gegenseitig verstärken. Gelingt es nicht, Tendenzen umzukehren, die die künftige Lebensqualität bedrohen, so werden die Kosten für die Gesellschaft drastisch ansteigen oder diese Tendenzen werden unumkehrbar. Der Europäische Rat begrüßt die Vorlage der Mitteilung der Kommission über nachhaltige Entwicklung, in der wichtige Vorschläge enthalten sind, um diesen Tendenzen Einhalt zu gebieten.
Die europäische Politik ist sich also darin einig, den Weg einer nachhaltigen Entwicklung gemeinsam zu gehen und die politischen Rahmenbedingungen dafür verstärkt zu schaffen. Die folgenden Jahre müssen nun zeigen, wie gut das Leitbild umgesetzt werden kann. Neben der politischen Ebene gibt es auch in den unterschiedlichsten Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) wie z.B. Industrievereinigungen und Naturschutzverbänden aber auch in Unternehmen Bestrebungen, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung umzusetzen und weiter zu entwickeln.
Ökonomische Regeln
Die Enquete-Kommission [11] schlug für die Gewährleistung der ökonomischen Nachhaltigkeit die folgenden Regeln vor:
- Das ökonomische System soll individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse effizient befriedigen. Dafür ist die Wirtschaftsordnung so zu gestalten, dass sie die persönliche Initiative fördert (Eigenverantwortung) und das Eigeninteresse in den Dienst des Gemeinwohls stellt (Regelverantwortung), um das Wohlergehen der derzeitigen und künftigen Bevölkerung zu sichern. Es soll so organisiert werden, dass es auch gleichzeitig die übergeordneten Interessen wahrt.
- Preise müssen dauerhaft die wesentliche Lenkungsfunktion auf Märkten wahrnehmen. Sie sollen dazu weitestgehend die Knappheit der Ressourcen, Senken, Produktionsfaktoren, Güter und Dienstleistungen wiedergeben.
- Die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs sind so zu gestalten, dass funktionsfähige Märkte entstehen und aufrecht erhalten bleiben, Innovationen angeregt werden, dass langfristige Orientierung sich lohnt und der gesellschaftliche Wandel, der zur Anpassung an zukünftige Erfordernisse nötig ist, gefördert wird.
- Die ökonomische Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft und ihr Produktiv-, Sozial- und Humankapital müssen im Zeitablauf zumindest erhalten werden. Sie sollten nicht bloß quantitativ vermehrt, sondern vor allem auch qualitativ ständig verbessert werden.
In einem Gastbeitrag werden die ökonomischen Anforderungen der Nachhaltigen Entwicklung aus Sicht der Chemieindustrie dargestellt.
Ökologische Regeln
Für die ökologische Nachhaltigkeit wurden von der Enquete-Kommission [11] folgende Regeln vorgeschlagen:
- Die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen soll deren Regenerationsrate nicht überschreiten. Dies entspricht der Forderung nach Aufrechterhaltung der ökologischen Leistungsfähigkeit, d.h. (mindestens) nach Erhaltung des von den Funktionen her definierten ökologischen Realkapitals.
- Stoffeinträge in die Umwelt sollen sich an der Belastbarkeit der Umweltmedien orientieren.
- Das Zeitmaß anthropogener Einträge bzw. Eingriffe in die Umwelt muss im ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der für das Reaktionsvermögen der Umwelt relevanten natürlichen Prozesse stehen.
- Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit durch anthropogene Einwirkungen sind zu vermeiden.
Gesellschaftliche Regeln
Schließlich wurden von der Kommission [11] noch die folgenden Regeln für die soziale Nachhaltigkeit vorgeschlagen:
- Der soziale Rechtsstaat soll die Menschenwürde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie Entfaltungschancen für heutige und zukünftige Generationen gewährleisten, um auf diese Weise den sozialen Frieden zu bewahren.
-
Jedes Mitglied der Gesellschaft erhält Leistungen von der solidarischen Gesellschaft:
- entsprechend geleisteter Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme,
- entsprechend Bedürftigkeit, wenn keine Ansprüche an die sozialen Sicherungssysteme bestehen.
- Jedes Mitglied der Gesellschaft muss entsprechend seiner Leistungsfähigkeit einen solidarischen Beitrag für die Gesellschaft leisten.
- Die sozialen Sicherungssysteme können nur in dem Umfang wachsen, wie sie auf ein gestiegenes wirtschaftliches Leistungspotential zurückgehen.
- Das in der Gesellschaft insgesamt und in den einzelnen Gliederungen vorhandene Leistungspotential soll für künftige Generationen zumindest erhalten werden [11].
Nachhaltigkeit in der Chemie
Die Chemie ist für das Konzept der nachhaltigen Entwicklung Chance und Gefahr zugleich. Die mit Chemie im Zusammenhang stehenden Gefahren sind groß und zeigen sich bei Unfällen wie in Seveso, Bophal oder bei Sandoz. Auch auf den ersten Blick weniger dramatische Auswirkungen, wie z.B. die ubiquitäre Verbreitung von POPs (Persistent organic pollutants) haben ihren Ursprung zum Teil in der chemischen Industrie. Neben diesen Gefahren, bietet die Chemie aber auch große Potenziale für eine nachhaltigere Entwicklung [12]. Durch die Kompetenz dieses Industriezweiges auf dem Gebiet der Stoffumwandlung können wichtige Teilbereiche bei der Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft mitgestaltet werden. Ein herausragendes Beispiel hierzu ist die Herstellung von Isoliermaterialien zur Gebäudedämmung. Die zur Herstellung der Dämmmaterialien verbrauchte Energie kann oft schon nach einem Jahr durch verringerte Energieverluste eingespart werden [13], eine langfristige Reduktion des Energieverbrauchs aus der Gebäudeheizung wurde dadurch erst möglich gemacht. Auch die Entwicklung von Katalysatoren, z.B. für den Kraftfahrzeugbereich brachte große Reduktionen der Emissionslasten und damit eine Verbesserung der Umweltsituation. Wie Umweltverbände und Chemieindustrie auf die Forderungen nach einer "Nachhaltigen Entwicklung" reagieren, soll in den folgenden Abschnitten geklärt werden.
Sichtweise der Umweltverbände
Im Zuge der stark kontroversen Diskussionen um Chemie, die in den 80er Jahren geführt wurden, ist auch ein umfangreiches staatliches Regelwerk zum Umgang mit chemischen Stoffen und chemischen Produktionsanlagen entstanden. Die gesellschaftliche Brisanz, die sich z.B. in Berichten wie "Seveso ist überall" [14] niederschlug, ist bei weitem nicht mehr so groß. Überdies werden die Umweltverbände heute in die chemiepolitischen Entscheidungen eingebunden. Weiterhin ist zu beobachten, dass andere Diskussionen, wie z.B. die Diskussionen um Gentechnologien und nichtionisierende Strahlung aus Mobilfunkgeräten, aufgrund der großen Neuartigkeit an die Stelle von Diskussionen über Kernkraft und Chemie getreten sind. In einigen Fällen hat sich nun eine Zusammenarbeit zwischen Umweltverbänden und Chemieunternehmen entwickelt, wie sie zum Beispiel in der Broschüre "Hoechst Nachhaltig: Sustainable Development - Vom Leitbild zum Werkzeug" [15] dokumentiert ist. Diese Zusammenarbeit resultierte in dem Werkzeug "Product Sustainability Assessment" (PROSA), das auf verschiedene Bedürfnisfelder beispielhaft angewandt wurde. Eine ähnliche Zusammenarbeit kam zum Thema "PVC und Nachhaltigkeit" [16] zustande. Wegweisend wird in beiden Studien der Versuch unternommen, die vielfältigen Perspektiven, vornehmlich aber immer wieder die ökonomische, die soziale und die ökologische, zu integrieren und eine ganzheitliche Anschauung von chemischen Produkten zu gewinnen.
Sichtweise Verbände und Unternehmen
Unfälle in Chemiebetrieben, wachsende Sensibilisierung der Bevölkerung und zunehmender politischer Druck veranlassten Unternehmen und Verbände der chemischen Industrie weltweit über ihre Aktivitäten nachzudenken. Im Rahmen der Ende der 80er Jahre entwickelten und von der chemischen Industrie weltweit getragenen Initiative "Responsible Care" kam es zu einer Selbstverpflichtung die Leistungen für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz in Eigenverantwortung und unabhängig von gesetzlichen Vorgaben zu verbessern. In den vergangenen Jahren konnten auf Grundlage dieser Initiative deutliche Verbesserungen, auch im Bereich des Umweltschutzes gemacht werden. So konnten zum Beispiel die Emissionen von klimawirksamen Gasen durch die Nutzung der Kraft-Wärmekopplung in der Chemischen Industrie deutlich gesenkt werden [17]. Die Forderungen des Leitbildes "Sustainable Development" gehen jedoch über die in der Initiative "Responsible Care" geforderten Maßnahmen hinaus.
Die internationalen und nationalen Chemieverbände [18, 19, 1] und eine Vielzahl der darin zusammengeschlossenen Unternehmen [20, 21, 22] nehmen diese Herausforderung an und erkennen die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung an. Allerdings fordern sie vom Gesetzgeber Rahmenbedingungen die den Unternehmen eine Arbeit im Sinne des Sustainable Development erlaubt und dies nicht nur auf nationaler Ebene, sondern weltweit [1]. Weit über 100 global operierende Unternehmen haben sich des weiteren dem World Business Council of Sustainable Development angeschlossen. Das WBCSD versucht mittels unterschiedlicher Projekte, beispielsweise im Bereich Ökoeffizienz oder nachwachsende Rohstoffe [23], neue Konzepte und Herangehensweisen für eine nachhaltige Entwicklung von Industrieunternehmen zu entwickeln.
Nachhaltigkeit in der chemischen Ausbildung
Die Anforderungen an die Chemie erstrecken sich auf alle drei bekannten Teilbereiche der Nachhaltigkeit. Aufgrund der Komplexität der Fragestellungen können nicht alle Fragen von Wissenschaftlern einer Fachrichtung beantwortet werden. Vielmehr bedarf es dafür Spezialisten verschiedener Fachrichtungen. Die Aufgabe aus naturwissenschaftlicher Sicht ist die Entwicklung von ökologisch nachhaltige Prozesse und Verfahren. Dabei ist ein Prozess als ökologisch nachhaltig anzusehen, wenn die Ressourcennutzung (der Aufwand und die Bedingungen der Produktion und die daraus entstehenden Folgelasten), im Grenzfall an den naturwissenschaftlich gegebenen Minima liegen 1 [24]. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht noch andere Problemlösungen geben kann, die aus Sicht der Nachhaltigkeit gegebenenfalls noch günstiger zu bewerten sind.
Zur Entwicklung solcher Prozesse sind Wissenschaftler gefragt, die profunde Kenntnisse auf dem Gebiet der Stoffumwandlung besitzen. Darüber hinaus sollten sie auch Verständnis für neue Anforderungen mitbringen. Diese könnten sein:
- Anwendung energetisch günstiger, umweltschonender alternativer Reaktionsbedingungen durch Verwendung von katalytischen und enzymatischen Reaktionen.
- Anwendung von alternativen Techniken zu thermischen Reaktionen: photochemische und elektrochemische Reaktionen, Mikrowellentechnik, Solartechnik.
- Anwendung von modernen chemo-, regio- und stereoselektiven Reaktionen.
- Verwendung von ressourcenschonenden Ausgangs- und Zwischenprodukten, sowie von nachwachsenden Rohstoffen.
- Anwendung von umweltverträglichen Lösungsmitteln.
- Rezyklierung von Hilfsstoffen sowie eingesetzter Lösungsmittel.
Die Anforderungen an Chemiker und Chemie fassen Eissen et al. [25] in Ihrer Publikation "10 Jahre nach Rio - Konzepte zum Beitrag der Chemie zu einer nachhaltigen Entwicklung" zusammen. Interessante Ansätze liefert auch die Green Chemistry Initiative, die inzwischen durch ein virtuelles Institut vertreten wird und auf zwölf Prinzipien beruht [26]:
- It is better to prevent waste than to treat or clean up waste after it is formed.
- Synthetic methods should be designed to maximize the incorporation of all materials used in the process to the final product.
- Whenever practicable, synthetic methodologies should be designed to use and generate substances that possess little or no toxicity to human health and the environment.
- Chemical methods should be designed to preserve efficacy of function while reducing toxicity.
- The use of auxiliary substances (e.g. solvents, separation agents, etc.) should be made unnecessary whenever possible and, innocuous when used.
- Energy requirements should be recognized for their environmental and economic impacts and should be minimized. Synthetic methods should be conducted at ambient temperature and pressure.
- A raw material or feedstock should be renewable rather than depleting wherever technically and economically practicable.
- Unnecessary derivatization (blocking group, protection/deprotection, temporary modification of physical/chemical processes) should be avoided whenever possible.
- Catalytic reagents (as selective as possible) are superior to stoichiometric reagents.
- Chemical products should be designed so that at the end of their function they do not persist in the environment and break down into innocuous degradation products.
- Analytical methods needed to be further developed to allow for real time, in process monitoring and control prior to the formation of hazardous substances.
- Substances and the form of a substance used in a chemical process should be chosen so as to minimize the potential for chemical accidents, including releases, explosions, and fires.
Neben den genannten Anforderungen ist weiterhin auch ein Verständnis für Betrachtungen im ganzheitlichen Sinne unverzichtbar. Nur dadurch können Verfahren zu ihrem naturwissenschaftlichen Minimum hin optimiert werden. Die Abbildung und die folgende Erläuterung soll diese Denkweise veranschaulichen:
Die Umweltauswirkungen einer Reaktion (z.B. Humantoxizität, Ökotoxizität, Eutrophierungspotential, Treibhauseffekt) werden durch viele Faktoren beeinflusst. Die eingesetzten Edukte und Hilfsstoffe wirken sich dabei genauso aus wie die für eine Reaktion benötigte Energie. Die Summe aller Umweltauswirkungen einer Reaktion sind durch Punkt 1 beschrieben. Betrachtet man die Reaktion ganzheitlich - d.h. unter Einbeziehung vorgelagerter Produktionsschritte von Edukten, Hilfsstoffen und Energie - und tauscht z.B. das verwendete Lösungsmittel aufgrund dessen hoher Umweltlasten in der Vorkette aus, dann kann ein Teil der Umweltlasten vermieden werden. Durch diese Teiloptimierung ist die Summe der Umweltauswirkungen (Punkt 2) geringer als in Punkt 1. Sind alle möglichen Bereiche optimiert, ist das naturwissenschaftliche Minimum dieser Reaktion in Punkt erreicht und eine weitere Verbesserung bezüglich ihrer Umweltlast nicht mehr möglich. Nun müssen deutliche Veränderungen an der Reaktion vorgenommen werden, um ein noch niedrigeres Umweltwirkungsniveau (Punkt 3) zu erreichen. Eine wesentliche Veränderung könnte der Einsatz eines Katalysators sein, aber auch mit einem Wechsel der Ausgangsstoffe, die zum gewünschten Produkt führen, kann ein weiteres Minimum erreicht werden.
Literatur
[1] Sustainable Development: Wegweiser für die Zukunft. Technical report, Verband der Chemischen Industrie e.V., Frankfurt, 1999.
[2] World Commission on Environment and Development. Our Common Future. Oxford University Press, Oxford, 1987.
[3] W. Sachs. Das Kyoto-Protokoll: Lohnt sich seine Rettung? Blaetter für deutsche und internationale Politik, Juli 2001, 2001.
[4] T. Mergelsberg. Nachhaltigkeit - Was ist eigentlich Nachhaltigkeit. Mergelsberg, 2000.
[5] M. Held. Geschichte der Nachhaltigkeit. Natur und Kultur, 1(1):17–31, 2000.
[6] U. Grober. Der Erfinder der Nachhaltigkeit. Die Zeit, 25.11.99:98, 1999.
[7] F. Greis. Wörterbuch zur lokalen Agenda 21. Universität Mainz, 1997.
[8] M. Krott. Sonderdruck Zukunft Holz - Die Wurzeln des Prinzips der Nachhaltigkeit. Die Welt, 17.10.2001:S. 16.
[9] Nachhaltiges Deutschland, Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung. Technical report, Umweltbundesamt, Berlin, 1997.
[10] Report of the United Nations Conference on Environment and Development, Rio de Janeiro. Technical report, United Nations, 1992.
[11] Konzept Nachhaltigkeit - Vom Leitbild zur Umsetzung. Technical report, Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt des 13. Deutschen Bundestages, Berlin, 1998.
[12] S. Böschen, D. Lenoir, and M. Scheringer. Sustainable chemistry: starting points and prospects. Naturwissenschaften, 90(3):93 – 102, 2003.
[13] Kunststoff ist Klimaschutz. Energiesparen, Ressourcen schonen. Technical report, Verband Kunststofferzeugende Industrie (VKE), Frankfurt, 2001.
[14] E.R. Koch and F. Vahrenholt. Seveso ist überall - Die tödlichen Risiken der Chemie. Fischer, Frankfurt, 1980.
[15] C. Ewen, F. Ebinger, C.-O. Gensch, R. Grießhammer, C. Hochfeld, and V. Wollny. Hoechst Nachhaltig. Öko-Institut Verlag, Freiburg, 1997.
[16] Steuerungsgruppe zum Dialogprojekt PVC und Nachhaltigkeit und Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt e.V., editor. PVC und Nachhaltigkeit: Systemstabilität als Massstab. Ausgewählte Produktsysteme im Vergleich. Deutscher Instituts-Verlag, Köln, 1999.
[17] Responsible Care Bericht 2001. Daten der chemischen Industrie zu Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz. Technical report, Verband der Chemischen Industrie e.V., Frankfurt a.M., 2001.
[18] The ICCA Chemical Sector Report to UNEP for the World Summit on Sustainable Development. Technical report, International Council of Chemical Associations, 2002.
[19] CEFIC Statement on an integrated approach towards Sustainable development. Technical report, European Chemical Industry Council (CEFIC), Brüssel, 2000.
[20] Sustainable Development Report 2001. Technical report, Bayer AG, Leverkusen, 2001.
[21] Konzern-Umweltbericht. Technical report, Schering AG, Berlin, 2000.
[22] Umweltbericht 2000. Technical report, BASF AG, Ludwigshafen, 2000.
[23] Case Studies. Technical report, World Buisness Council of Sustainable Development, Genf, 2002.
[24] G. Kreisel and A. Diehlmann. Definition einer ökologisch nachhaltigen Chemie. unveröffentlicht, 2002.
[25] M. Eissen, J.O. Metzger, E. Schmidt, and U. Schneidewind. 10 Jahre nach Rio - Konzepte zum Beitrag der Chemie zu einer nachhaltigen Entwicklung. Angew. Chemie, 114(3):402–425, 2002.
[26] P.T. Anastas and J.C. Warner. Green Chemistry: Theory and Practice. Oxford University Press, Oxford, 1998.
1 Wenn die (optimierten) Kosten und Umweltbelastungen von einer Mehrheit der Akteure als zu hoch betrachtet werden, muss der Prozess durch einen neu entwickelten, besseren Prozess ersetzt werden, oder man muss ohne die in diesem Prozess hergestellten Produkte auskommen.
update 23. August 2012